Lebensgeschichte – Langzeitwohnbereich

Der Langzeitwohnbereich ist innerhalb der Landschaft sozialer Einrichtungen und Hilfen in Karlsruhe ein Nischenangebot, das für den betroffenen Personenkreis ein spezielles und wirksames Hilfeangebot darstellt.

Es wohnen dort alleinstehende zumeist ältere Männer, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind und mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen haben. Ausgehend von physischen und psychischen Beeinträchtigungen erlebten sie soziale Isolation, Abhängigkeit von Suchtmitteln, Verwahrlosung und materielle Armut.

In meinem Ehrenamt besuche derzeit 3-mal monatlich den Langzeitwohnbereich, organisiere dabei einmal den Geburtstagskaffee und knüpfe mit einzelnen Männern Gesprächskontakte. Am Beispiel eines Schicksals will ich zeigen, welche Biographie hinter einem Menschen zu entdecken ist, der hier wohnt und betreut wird.

Ich will ihn einfach mal Rudolf nennen. Einen 66-jährigen etwas fülligen Mann, der seinen kurzen Bart im Gespräch immer wieder abstreift. Er stammt aus Bayern. Nicht dem katholischen Kernland, sondern der eher evangelischen Region.

In einem Arbeiterhaushalt mit zwei älteren Schwestern erlebt er schon ab 3 bis 4 Jahren die Gewalt seines Vaters. Der wohl in Arbeit, seine als nicht sonderlich gut empfundene Stellung in der Gesellschaft mit Trinken und Gewalt kompensiert. Der Junge muss erleben, wie beide Schwestern im Gegensatz zu ihm verwöhnt werden.

In der Mutter hat er jedoch eine sorgende Person. Sie erreicht, dass er in einem Internat unterkommt. Dort ist er vor der Gewalt des Vaters geschützt. Im Internat kann er, auch ein Anliegen der Mutter, das Gymnasium besuchen.

Wie so viele Jungen in ähnlicher Situation, von denen wir seit einem Jahrzehnt erfahren, dass sie unter Gewalt und Missbrauch litten, erfährt er dort körperliche Züchtigungen. Dies geschieht durch den Musiklehrer, der auch Chorleiter eines weltbekannten Knabenchores ist. Wir wissen, wie lebensprägend solche negativen Erfahrungen in der Kinder-und Jugendzeit sind. Geradezu exemplarisch für diese Schicksale, die sich auch im Langzeitwohnbereich wiederfinden, so auch bei Rudolf, verläuft der weitere Lebensweg.

Nach Studium der Verkehrsbetriebswirtschaft und nachfolgender Ausbildung im Bereich der Kernkraftwerkssicherung arbeitet er selbstständig bundesweit in der Kernkaftwerkssicherung. Er hat Erfolg, seine Firma floriert, er beschäftigt bis zu 9 Mitarbeiter.

Die Ehe, aus der zwei Kinder erwachsen, verläuft allerdings nicht sehr gut. Nach einem schweren Unfall, einem dann folgenden Schlaganfall, langer Reha und verbleibenden Langzeitfolgen läuft es in der Arbeit nicht mehr so gut. Die Ehe leidet und zerbricht.

Alles ist begleitet durch zunehmenden Alkoholgenuss. Der wohl selbst nicht so sehr als bedrohlich erfahren wird. Die Spirale nach unten setzt sich fort durch Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug, Wohnungsverlust.

Irgendwann vor 10 Jahren schließlich bietet der Langzeitwohnbereich den nun nötigen schützenden Rahmen für sein weiteres Leben. Ich erfahre in den Gesprächen immer wieder den Blick in die Vergangenheit, auch eine starke Verbundenheit mit der Ursprungsheimat. Jedoch kein Zorn, keine Wut, kein Selbstmitleid. Er spricht gerne und kenntnisreich über Politik und Geschichte. Ich spüre schon eine gewisse Resignation, jedoch auch sein Resümee, dass das Leben, wie es gelaufen ist, eben seines war und ist, so wie es ihm möglich war.